Zürich-News: Umweltschutz ist nicht freiheitsfeindlich

Topaktueller Text zu einer Zürcher Frage der heutigen Zeit.

Politblog

Altlasten unseres Konsums: Recycling von Metall und Elektrogeräten in Ecublens VD. Foto: Gaetan Bally (Keystone)

Die Wirtschaft soll nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als uns unser einziger Planet zur Verfügung stellt: Gegen diese Forderung der Initiative «Für eine grüne Wirtschaft» kann man vernünftigerweise gar nicht sein. Doch die Initiativgegner sehen sie als freiheitsfeindliche Zwängerei.

Das Bild von der grünen Zwangsjacke, das sie verwenden, übertreibt natürlich. Aber richtig ist: Zwischen Freiheit und Umweltschutz gibt es Zielkonflikte. Muss man sich also entscheiden: freiheitlich in den Ökokollaps oder ökologisch in die Diktatur?

Gemach. Freiheit ist immer von Zielkonflikten begleitet. Es gibt nicht die eine Freiheit, es gibt Freiheiten, und die können sich widersprechen. Liberale Politik hiess immer schon, individuelle Freiheiten dann zu beschränken, wenn andere Freiheiten über Gebühr verletzt werden. Dazu bedarf es der Güterabwägung.

Doch dabei scheinen manchen die Dimensionen etwas durcheinandergeraten zu sein. Der letzte Juli war weltweit der heisseste Juli seit Messbeginn, der letzte Juni der heisseste Juni und so weiter; seit 14 Monaten in Folge war jeder Monat rekordheiss. Geht es so weiter, werden viele Freiheiten sehr vieler Menschen massiv leiden. Wenn dann aber ein schweizerischer Amtschef fordert, man müsse sich «getrauen, nach dem Sinn des Konsums zu fragen», schreien «liberale» Politiker auf. Schon die aufgeworfene Frage ist ihnen ein Sakrileg.

Natürliche und menschgemachte Beschränkungen

Der Liberalismus hat sich gegen die Anmassungen der Freiheitsberaubungen durch menschliche Institutionen gebildet und wendet sich, mit gutem Grund, nur gegen solche. Es gibt keinen Anspruch, von natürlichen Freiheitsbeschränkungen, etwa durch Krankheit, schlechtes Wetter oder Umweltkatastrophen, verschont zu werden. Ein Staat kann seinen Bürgern Zugang zu einem guten Gesundheitssystem gewähren, aber er kann ihnen keine gute Gesundheit garantieren. (Dass viele Liberale die Wirtschaft als naturgesetzlich betrachten und in wirtschaftlichen Zwängen deshalb keine Freiheitsbeschränkungen erkennen wollen, ist eine Geschichte für sich.)

Friedrich August von Hayek hat dies einmal drastisch ausgedrückt: Wer in eine Gletscherspalte falle und sich nicht befreien könne, sei im Sinne des Liberalismus nicht unfrei. Das hat seine Stringenz. Allerdings, und das ist entscheidend, lassen sich natürliche und von Menschen verursachte Freiheitsbeschränkungen nicht so klar scheiden, wie Hayek suggeriert. Was, wenn man in die Gletscherspalte geschubst würde? Was, wenn sich die Spalte aufgrund menschlicher Aktivitäten aufgetan hätte?

Die Dinge, die unser Leben bestimmen, sind fast nie nur natürlich oder nur menschgemacht. Wir sind umgeben von lauter Mischphänomenen (Hybriden). Der französische Philosoph Bruno Latour, der dies sehr betont, hält den Klimawandel für das Paradebeispiel eines hybriden Phänomens: Das Klima geht von der Atmosphäre aus und folgt Naturgesetzen, ist insofern also ein natürliches Phänomen, aber es sind menschliche Aktivitäten, die die Atmosphäre verändern, und der Klimawandel wirkt sich auf menschliche Aktivitäten aus.

Wenn Hayek fordert, ein Sturz in die Gletscherspalte sei als Schicksalsschlag hinzunehmen, so fordert er letztlich, naturgegebene Zwänge zu akzeptieren. Dass wir nur eine Erde haben, ist ein solcher Zwang, und man ist nicht liberal, wenn man ihn ignoriert. Deshalb sagt ja auch Bundesrätin Doris Leuthard nicht, das Anliegen der Initiative «Grüne Wirtschaft» sei falsch, sie sagt nur, die Initiative wolle «zu viel in zu kurzer Zeit». Aber auch die Zeit, die noch zur Verfügung steht, einen katastrophalen Klimawandel (und andere Folgen des Überkonsums) abzuwenden, können wir nicht selbst bestimmen.

Es gibt keinen Anspruch auf gutes Wetter. Aber wenn die Freiheit der einen das Klima derart verändert, dass es Freiheiten anderer beschneidet (beispielsweise die Freiheit, genug Nahrung anzubauen), dann ist nicht politisches Eingreifen antifreiheitlich. Sondern das Gewährenlassen.

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Gut geschriebener Artikel! Wir wünschen uns mehr Artikel zu diesem Topic!

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